Nicht nur der Regen hat nun das Potential das Rennen durcheinander zu bringen: Anthony Davidson wird von der Rennleitung ultimativ verwarnt: Wenn der Brite noch einmal jenseits der Streckenbegrenzung unterwegs ist, droht eine Durchfahrtsstrafe. Der aktuell knapp 40 Sekunden betragende Vorsprung auf die Porsches wäre damit wieder dahin. Und noch ein unerwartetes Spannungsmoment in Runde 110 kommt einer der beiden Werks-Porsche in der GTE-Klasse mit Feuer im Motorraum zum Stillstand und löst die erste Full Course Yellow des Rennens aus. Toyota absolviert mit beiden Wagen während der FCY effektiv einen 'freien' Boxenstopps. Die Porsche bleiben auf der Strecke und kommen nicht zum Stopp bevor das Rennen wieder freigegeben wird. Haben sich die Weissacher gerade bei der Rennstrategie einen ihrer seltenen Schnitzer geleistet?
Das Rennen ist nur für wenige Minuten wieder freigegeben, als
Pechito Lopez bei seinem ersten LMP1-Stint den angeschlagenen
#7 Toyota Lopez bei Copse in die Reifenstapel schickt. Um den
unverletzten Lopez und seinen Toyota zu bergen ist erneut eine
Full Course Yellow nötig - und nun nutzt Porsche die Chance zu
einem Boxenstopp unter Gelb. Ein Traktor hebt den TS050 aus
dem Kiesbett, doch statt den Wagen hinter dem Sicherheitszaun
abzustellen, lässt man Lopez mit seinem schwer beschädigten
Gefährt aus eigener Kraft zurück an die Box fahren, wobei der
Argentinier großzügig Teile seines Fahrzeugs über die Strecke
verteilt. Die Rennleitung schickt das Safety Car auf die
Strecke, da auch Reparaturen an den Reifenstapeln in Copse
fällig werden, die anscheinend nicht unter FCY-Bedingungen
durchgeführt werden können. Unangenehm für Kazuki Nakajima,
der in der ersten FCY den #8 Toyota übernommen hat, da er
dadurch natürlich seinen Vorsprung auf die Porsche einbüßt.
Überdies hat sich jetzt auch Toyota einen Strategiefehler
geleistet indem man darauf verzichtete, während der FCY - und
vor dem Safety Car-Einsatz - zu stoppen.
Die Safetycar-Phase endet 125 Minuten vor dem Rennende.
Nakajima kommt am Start gut weg, und bringt innerhalb der
ersten Runde nach Rennfreigabe fünf Sekunden zwischen sich und
Earl Bamber. Der Stand nach vier Stunden Rennzeit lautet dann
wie folgt:
Platz | Nr | Auto | Klasse | Marke | Team | Land | Abstand |
1 | 8 | LMP1 | Toyota Gazoo Racing | 128 Rd. | |||
2 | 2 | LMP1 | Porsche Team | 4s | |||
3 | 1 | LMP1 | Porsche Team | 9s | |||
4 | 36 | LMP2 | Signatech Alpine Matmut | 120 Rd. | |||
5 | 38 | LMP2 | Jackie Chan DC Racing | 1s | |||
6 | 28 | LMP2 | TDS-Racing | 9s | |||
7 | 31 | LMP2 | Vaillante Rebellion | 69s | |||
8 | 26 | LMP2 | G-Drive Racing | 119 Rd. | |||
9 | 25 | LMP2 | CEFC Manor TRS Racing | 1s | |||
10 | 24 | LMP2 | CEFC Manor TRS Racing | 2s | |||
11 | 37 | LMP2 | Jackie Chan DC Racing | 118 Rd. | |||
12 | 4 | LMP1 | - | Team by Kolles | 117 Rd. |
Bei den LMP2 hat der
Signatech-Alpine unterdessen seine Führung und sogar einen
Platz auf dem Podium verloren. Nicolas Lapierre fährt zwar
konkurrenzfähige Rundenzeiten, aber Bronze-Pilot Matt Rao
büßte im Stint zuvor fast eine Runde auf die nun
klassenführenden Orecas von Jackie Chan DC Racing, TDS und
Rebellion ein. Ohne die Safety-Car-Phase wäre der Sieg für
Alpine in Reichweite gewesen; so wird letztlich nur der
undankbare vierte Platz bleiben.
Die Uhr zeigt noch 48 min
Restrennzeit als Nakajima seinen Toyota zum letzten Stopp an
die Box bringt. Vor dem Stopp hatte der Japaner nach wie vor
gut 15 Sekunden Vorsprung auf die beiden verfolgenden Porsche.
Eine Runde später folgt, wie zu erwarten, der #1 Porsche zum
Stopp. Noch während Nick Tandy an der Box steht, kollidieren
nach einem Kontakt mit einem weiteren GT der
Valero-Aston Martin und das ByKolles-Auto auf Höhe der
Boxeneinfahrt, worauf der private Prototyp schwer beschädigt
in die Garage geschoben wird.
Auch bei den LMP2 klärt sich das
Bild so langsam. Bei noch gut vierzig verbleibenden Minuten
können auch die 'kleinen' Prototypen mit den jetzt erfolgenden
Stopps bis zum Rennende durchfahren. In Führung liegen
aktuell Oliver Jarvis (Jackie Chan) und Emmanuel Collard
(TDS), die im Gegensatz zum drittplatzierten Nico Prost im
Rebellion jedoch beide noch zumindest einen Splash&Dash
brauchen.
Vergleichsweise ruhig war es
während der Safetycar-Phasen bei den LMP2 wo immer noch der
Signatech-Alpine in Front liegt. Nach der Freigabe des Rennens
ändert sich dies jedoch, da die vor der Neutralisierung
herausgefahrenen Vorsprünge egalisiert wurden.
Es folgt ein
sehenswerter Dreikampf um die Führung des Rennens, an dessen
vorläufigem Ende Matthieu Vaxiviere im TDS-Auto das bessere
Ende für sich hat und erstmal die Führung übernimmt. Kurz
danach werden allerdings für die LMP2-Autos wieder Boxenstopps
fällig und Signatech kann sich die Führung zwischenzeitlich
zurückholen. Am anderen Ende des LMP2-Feldes kommt der heute
in zahlreiche Auseinandersetzungen auf der Strecke verwickelte
#13 Rebellion ein weiteres Mal zu einem langen Stopp an die
Box.
Gut eineinhalb Stunden vor
Rennende kommen der verbliebene Toyota und der #1 Porsche zu
ihrem vorletzten Stopp an die Box - ein strategischer Vorteil
für eines der Autos scheint sich im FCY-Chaos der vergangenen
Stunde nicht ergeben zu haben. Falls keine weiteren
unvorhergesehenen Ereignisse die Situation noch einmal
durcheinander würfeln, dürften beide Fahrzeuge etwa 35 Minuten
vor Rennende ein letztes Mal stoppen und dann ohne weiteren
Splash&Dash bis zur karierten Flagge durchfahren.
Earl
Bamber im #2 Porsche zögert seinen Stopp dagegen zehn Minuten
länger heraus und könnte seinem Landsmann Brendon Hartley beim
letzten Stopp dadurch einen gewissen Vorteil verschafft haben,
da beim letzten Stopp dann natürlich weniger Sprit eingefüllt
werden muss. Zunächst fällt das #2-Auto aber wieder knapp 20
Sekunden hinter Toyota-Pilot Nakajima zurück.
Dazu droht Nick Tandy im anderen
Porsche Ungemach von Seiten der Rennleitung, die aktuell zum
einen den letzten Boxenstopp des Briten auf eventuelle
Verfehlungen der Boxencrew untersucht und zum anderen auch
prüft, ob Tandy oder einer seiner Teamkollegen während einer
der FCYs zu schnell unterwegs war.
Bei Toyota hat man
unterdessen das verunfallte Lopez-Auto wiederhergestellt und
mit Mike Conway am Steuer mit 39 Runden Rückstand wieder auf
die Strecke geschickt.
1h ist noch zu fahren... :
Platz | Nr | Auto | Klasse | Marke | Team | Land | Abstand | Stopps |
1 | 8 | LMP1 | Toyota Gazoo Racing | 162 Rd. | 5 | |||
2 | 2 | LMP1 | Porsche Team | 18s | 6 | |||
3 | 1 | LMP1 | Porsche Team | 19s | 7 | |||
4 | 38 | LMP2 | Jackie Chan DC Racing | 151 Rd. | 6 | |||
5 | 28 | LMP2 | TDS-Racing | 12s | 7 | |||
6 | 31 | LMP2 | Vaillante Rebellion | 17s | 8 | |||
7 | 36 | LMP2 | Signatech Alpine Matmut | 91s | 8 | |||
8 | 26 | LMP2 | G-Drive Racing | 150 Rd. | 7 | |||
9 | 24 | LMP2 | CEFC Manor TRS Racing | 55s | 7 | |||
10 | 25 | LMP2 | CEFC Manor TRS Racing | 73s | 7 | |||
11 | 37 | LMP2 | Jackie Chan DC Racing | 149 Rd. | 7 | |||
12 | 4 | LMP1 | - | Team by Kolles | 62s | 6 |
Jetzt gilt es für die
Porsche-Boxen-Crew! Noch 32 Minuten verbleiben auf der Uhr als
Brendon Hartley den #2-Porsche zum letzten Stopp an die Box
bringt. Der Neuseeländer verzichtet auf neue Reifen und kommt
8 Sekunden vor dem Toyota von Nakajima auf die Strecke zurück.
Es tritt ein, womit vor dem Rennen kaum jemand gerechnet
hätte: Eine halbe Stunde vor Renn-Ende gibt es einen echten
Kampf um den Rennsieg zwischen Porsche und Toyota um den
Rennsieg!
Noch 20 Minuten: Der Vorsprung
von Hartley beträgt nun noch 4 Sekunden, doch Buemi im Toyota
rückt unerbittlich näher. In der LMP2 haben Collard und Jarvis
ihren letzten Stopp absolviert. Jarvis im Jackie Chan DC-Auto
bleibt in Führung, liegt aber nur noch 11 Sekunden vor Nico
Prost im Rebellion. Dahinter folgt Matthieu Vaxiviere, der den
TDS-Oreca von Emanuel Collard übernommen hat.
Bei noch 15 verbleibenden
Minuten hat Buemi Hartley so gut wie gestellt, doch Hartley
kann sich im Verkehr noch einmal einen kleinen Vorsprung
verschaffen. Dazu beginnt es in Teilen der Strecke wieder zu
regnen! Bei der Anfahrt auf "The Loop" wird Hartley drei
Minuten später schließlich minimal vom Clearwater-Ferrari
aufgehalten, Buemi nutzt seine Chance und holt sich die
Führung.
Aber noch könnte der Regen dem Toyota-Piloten einen
Strich durch die Rechnung machen; es regnet immer stärker und
Buemi ist nach wie vor auf Slicks unterwegs... Doch der
Franzose bringt seinen TS050 unbeschadet ins Ziel und siegt
mit etwas über sechs Sekunden unerwartet knapp vor dem Porsche
von Brendon Hartley.
Der Sieg bei den LMP2 geht an
Oli Jarvis für Jackie Chan DC-Racing, vor Nico Prost, der für
Rebellion beim Comeback in der LMP2 eine Podiumsplatzierung
sichert, und TDS-Pilot Vaxiviere.
Bei der abschließenden Pressekonferenz zeigt sich Sebastian Buemi glücklich ob des vom Team erwarteten Sieges, aber auch überrascht davon, wie stark Porsche hier aufgetreten sind. Gerade bei den Boxenstopps bestehe für das Toyota-Team noch Verbesserungsbedarf. Teamkollege Anthony Davidson ergänzt, dass natürlich auch das Safetycar bei der knappen Entscheidung eine Rolle gespielt habe.
Für die "Show" sei das natürlich gut gewesen, aber für das
Toyota-Team bedeutete die Neutralisation, dass Buemi den
laut Davidson besten LMP-Drive seines Lebens abliefern
musste, um den Sieg unter Dach und Fach zu bringen. Kazuki
Nakajima schließlich war als erster japanischer RAC Tourist
Trophy-Sieger einfach nur "happy". Außerdem wertet er den
elften Toyota-Sieg in der modernen WEC - und den ersten für
die Fahrerkonstellation Buemi/Davidson/Nakajima - als gutes
Zeichen für die neue Saison.
Dass es für die Kölner mit weiteren Siegen schwer werden
wird, stellten die Porsche-Fahrer klar. Angesichts des
Handicaps durch das für Silverstone nicht optimal geeignete
High-Downforce-Paket habe man sich, wie Brendon Hartley
sagt, hier sehr gut verkauft, lediglich das schnelle
Abtrocknen der Strecke nach dem Wechsel auf Intermediates
sei für das Team eine negative Überraschung gewesen. Timo
Bernhard erklärt weiterhin, dass der Wechsel auf die
Intermediates eine Entscheidung der Team-Leitung gewesen
sei, da zum Zeitpunkt des Stopps gerade mehrere Fahrzeuge
auf der Strecke auf Abwegen gewesen sein und die
Streckenbedingungen deshalb etwas negativer eingeschätzt
wurden als sie dann tatsächlich waren. Nach seiner eigenen
Einschätzung hätte man wohl auch mit Slicks weiterfahren
können. Laut Nick Tandy war der Wechsel auf die
Intermediates auch eine Vorsichtsmaßnahme der Team-Leitung,
da der resultierende Zeitverlust natürlich immer noch besser
war als ein möglicherweise zum Ausfall führender Abflug.
Tandys Statement machte deutlich, dass die erste Priorität
für die Porsche-Team-Leitung heute eine solide
Punkte-Ausbeute war, um einen frühen Rückstand in der
WM-Wertung zu vermeiden.
Bei den LMP2-Siegern gibt sich Ho-Pin Tung überglücklich ob
des ersten WEC-Sieges einer unter chinesischer Nennung
fahrenden Mannschaft. Wie Teamkollege Oliver Jarvis lobt
Tung seine Einsatzmannschaft Jota. Laut Jarvis habe diese
heute mit einer durchdachten Strategie für den Sieg gesorgt.
Vor allem dass man in der ersten Rennhälfte sehr stark auf
eine reifenschonende Fahrweise geachtet habe, hätte den
Unterschied gemacht. Dazu sei das Auto mit jedem Stint
besser geworden.
Mit diesen Eindrücken von der Pressekonferenz verabschieden
wir uns von einem WEC-Lauf, der die im Vorfeld geäußerten
Erwartungen deutlich übertroffen hat. Nicht nur war der
Kampf um den Gesamtsieg sehr viel enger als befürchtet, auch
bei den LMP2 traten die mancherorts befürchteten Probleme
mit der Haltbarkeit nicht in dem Maße auf, wie mancherorts
befürchtet worden war, was für ein kurzweiliges und in
Teilen hart umkämpftes Rennen sorgte.